Wii gut!
Den Spitzenplatz für die begeisterndsten Auftritte der 38. Ausgabe im Sittertobel teilen sich die deutsche Indieband The Notwist und der britische Singer-Songwriter Ben Howard. Also einmal mehr zwei Acts, die ihre Shows auf der kleineren Sternenbühne ausgetragen - und gleichermassen verblüfft haben. Erstere mit einem Bühnensetting, das von Anfang an schon auf ein Kunstwerk hindeuten sollte: Einer Unmenge an Instrumenten von Xylophon bis zu mit Wii-Controllern bedienten Synthies, die in einer ebenso facettenreichen Darbietung münden. Elektronische Finessen, ausschweifender Gitarrenrock und verspielte Popmelodien inklusive.Ebenfalls grosses Kino dieses Jahr: Ben Howard. Was der sympathische Blondschopf als sonntäglicher Abschlussact auf der Zeltbühne (seit Jahren der wohl durchgehend bestbesetzteste Slot am Open Air St. Gallen) zusammen mit seiner vierköpfigen Band samt Cellistin bietet, ist bewegend und mitreissend zugleich. Howard schafft es mit seinen Qualitäten, die sowieso schon zauberhaften Songs - darunter die zahllosen Hits von «Keep Your Head Up», «The Fear» bis «Only Love» - live auf ein noch höheres Level zu hieven und setzt zum Festivalende das zweite, ganz grosse Ausrufezeichen.
Auch die elektronische Fraktion überzeugt 2014 im Sittertobel. Allen voran der augenscheinlich von sich selbstüberzeugte Kavinsky kann mit seinem Set in der Nacht auf Sonntag punkten. Zurückgelehnter Elektro aus Frankreich trifft auf Filmsoundtrack, ergänzt mit passenden Visuals auf perspektivisch angeordneten Leinwänden: Das passt. Mit ähnlichem Fokus auf stimmiger, visueller Untermalung und natürlich ihren brummenden Bass- und Ambientsalven untermauern auch Moderat ihren derzeitigen Status. Wenngleich - und das ist allerdings Nörgeln auf sehr hohem Niveau - die Show des Berliner Trios nicht ganz an den eindrücklichen Auftritt im Februar in Zürich herankommt. In ähnlichem Stil gilt das ebenfalls für den Elektropop-Hype CHVRCHES, deren Konzert vor allem lichttechnisch an diesem Abend etwas gar wenig anbietet, zumal die an den Synthesizern montierten LEDs offenbar ihren Dienst versagt haben.
Ruhig geht
Schön auch zu sehen am diesjährigen Open Air St. Gallen: Selbst für die ruhigere und melodiöse Sparte finden sich zwischendurch immer wieder Slots, in denen auch nicht unbedingt ideal für ein solches Festival geeignete Bands brillieren können. Bis anhin ist das selbenorts nicht immer gelungen, siehe Sophie Hunger vor fünf Jahren. 2014 klappt es aber dank den schwedischen Junip mit dem alles überstrahlenden «Line Of Fire» und Half Moon Run bestens.Sie werden den Erwartungen ebenso gerecht wie die rockige Fraktion um die Foals oder die langersehnten The Black Keys. Die doch beträchtlich auseinandergehenden Meinungen über die Performance des US-Duos irritieren nämlich durchaus. Von Anfang an beweisen die beiden Blues-Rocker, dass sie über weitaus genug Erfahrung verfügen, wie man eine Festivalsetlist zu gestalten hat. Mit Songs wie «Run Right Back» oder «Gold On The Ceiling» holen sie das St. Galler Publikum bereits zum Auftakt ab, haben im Mittelteil zugegebenermassen einige Längen zu verzeichnen, ehe sie gegen Ende zu einem Hitfeuerwerk um «Tighten Up», «Lonely Boy» und «I Got Mine» als krönendem Abschluss ausholen: Aufgabe absolut erfüllt.
I'm sorry, Mama
Und das lässt sich bei einigen wenigen anderen Acts leider nicht konstatieren: Moop Mama beispielsweise scheitern relativ kläglich. Gleichermassen bemühend wie bemüht quält sich die vielköpfige Brassband aus Bayern auf einem durchaus attraktiven Mitternachtsslot durch ihr wenig packendes Set. Wie es instrumental gehen könnte, zeigt am Abend davor die bosnische Kultcombo Dubioza Kolektiv. Auch wenn diese im Verlauf ihrer Show an Wirkung verliert, strahlt sie doch einiges mehr an Temperament, Aura und - Achtung: Unwort! - Authentizität aus.Eine Enttäuschung ist ebenfalls das Konzert von Milky Chance. Das deutsche Duo, das die Charts im Nu gestürmt hat, hätte die Sternenbühne am Sonntagnachmittag zwar auch ohne den strömenden Dauerregen gefüllt. Und trotzdem leert sich das Zelt kontinuierlich, zu gleichtönig klingen die Songs. Einzig ein Gastmusiker mit Mundharmonika sorgt zwischenzeitlich für etwas Abwechslung. Es ist schliesslich jedoch nur mehr als bezeichnend, dass irgendwann die Blicke der Menschenmasse kollektiv gen Hang schweifen, wo lieber einem in einer Schlammspur herunterrutschenden Gummiboot zugejubelt wird.