So war Kate Tempest in Zürich

Grosses Theater

Stürmen weicht der Mensch ja generell lieber aus. Es sei denn, es sind Wortgewitter, wie sie Kate Tempest gestern Abend im Exil in Zürich von sich gegeben hat.
Grossartige Geschichtenerzählerin: Kate Tempest.
Grossartige Geschichtenerzählerin: Kate Tempest.Photo: Youtube / Michael Albert Islinger
Ach, Wortspiele. Durchaus verpönt, aber es geht halt doch nicht ganz ohne. Wie in Verbindung mit Kate Tempest, diesem unscheinbaren Mädchen aus dem Süden Londons mit wallendem Haar und robuster Statur, das nicht wie 28 aussieht - und dessen Sprachgewalt mit dem Nachnamen (zu deutsch: «Sturm») nicht passender umschrieben werden könnte.

Nur wird der Begriff «Wortspiel» nicht im Ansatz dem gerecht, was Tempest in ihren Zeilen präsentiert. Das sind kleine, grossartige Geschichten aus dem Leben einer imaginären Protagonistin namens Becky, wie man sie mit Reimen kaum besser beschreiben und auf den Punkt erzählen könnte. Von ungefähr kommt das alles nicht. Die Londonerin ist in ihrer Heimat längst als Spoken-Word-Künstlerin bekannt, hat eigene Theaterstücke geschrieben, wird bereits jetzt als Poesiehoffnung betitelt und mit Auszeichnungen gewürdigt. Dass ihr erster musikalischer Soloausflug, das Debütalbum «Everybody Down», diesen Herbst bei den Nominationen für den prestigeträchtigen Mercury Prize zu finden war, ist unter diesen Gesichtspunkten nicht komplett verwunderlich.

Sofort in den Bann gezogen

Warum muss «Wortspiel» aber dennoch ins Spiel kommen? Weil «Sturm» in jeglicher Hinsicht ins Schwarze trifft. Den furiosen Flow zum Beispiel, den demonstriert Tempest in Zürich von Beginn weg. Das kurze Intro ihrer Band bricht sie ab, um a capella und teils in horrendem Tempo loszurattern, äh, zu rappen. Alles andere als da nicht gebannt auf jede einzelne Silbe zu achten, ist gar nicht möglich, so präsent ist Tempest, so ausgereift ihre Bühnenerfahrung von unzähligen Open-Mic-Sessions in der Vergangenheit. Zwölf Jahre habe sie sich den Arsch aufgerissen, um jetzt an dieser Stelle zu stehen, wird sie nachher einmal erzählen. Well, diese Kraft, diese Entschlossenheit ist mehr als spürbar.

Nach dem ersten Song darf die musikalische Begleitung dann richtig einsetzen. Dafür verantwortlich: Eine Band aus zwei Schlagzeugern, einmal klassisch mit elektronischem Anbau auf der einen, auf der anderen Seite der Bühne ausschliesslich mit Drumpads ausgerüstet. Hinten wird derweil mit Synthies und Samplern hantiert, so dass im Endeffekt zumeist stürmische Uptempo-Beats entstehen, die gerne auch ausarten. Ist aber keine Herausforderung für Tempest, raptechnisch kann sie mit Leichtigkeit im selben Stil tempomässig aufdrehen. Schade ist einzig, dass in diesen Momenten zeitweise ihre Stimme im Drum-Hagel untergeht, wo man doch jede Songzeile so gern aufsaugen und ja kein Wort verpassen würde.

Rollenspiele

Begleitet wird Kate Tempest zudem von einem weiblichen Sidekick, der als Wortlieferantin, Backup-MC, Backgroundsängerin und Gegenspielerin in Personalunion agiert. Neben dem Stimmverzerrer eine weitere elegante Weise, den Dialog der in Tempest's Kurzgeschichten involvierten Parteien zu veranschaulichen. Halt wie in einem Schauspiel. Und so ist nach einer guten Stunde Schluss im Exil. In Windeseile ist die Zeit verflogen, ist der lyrische Vortrag zu einem Ende gekommen, der Vorhang unter begeistertem Applaus wieder geschlossen. «Grosses Theater» würde man in so einem Fall wohl sagen.
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