Festivalkritik

Leider nein, SRF 3

SRF 3 fordert mehr Mut von den Schweizer Festivals. Das ist per se nicht verkehrt – die mitgelieferten Argumente sind allerdings äusserst schwach. Eine Replik.
Der Stein des Anstosses: der besagte Artikel im Musik-Blog von SRF 3.
Der Stein des Anstosses: der besagte Artikel im Musik-Blog von SRF 3.Photo: Screenshot (srf3.ch)
Durchaus vielversprechend klingt er, der Titel des jüngsten Musikblog-Beitrags von Radio SRF 3: «Habt mehr Mut, Schweizer Festivals!». Auf den ersten Blick zwar keine gänzlich neue Thematik (die Konformität der hiesigen Festival-Line-Ups, die Wiederholung des Gleichen und die alternde Headlinerriege), im Endeffekt entpuppt sich der Text allerdings als dermassen unfundierte Generalkritik, die – gerade im Hinblick auf die bevorstehende Festivalsaison – so nicht unkommentiert stehen gelassen bleiben soll.

Denn..
«(...) Dass gleich mehrere Festivals im gleichen Jahr mit den gleichen Acts werben, war noch nie so auffallend wie 2016: Muse sind als Headliner gleich an drei Schweizer Festivals. Auch The Chemical Brothers, M83, Sigur Ros oder Massive Attack findet man auf mehr als einem Line-Up.»

srf3.ch

.. beinhaltet bereits mehrere Punkte, die am diesjährigen Schweizer Festivalsommer in dieser Form nicht wirklich angeprangert werden können:

Der Jahrgang 2016 zeichnet sich im Vergleich zu früher nicht durch aussergewöhnlich viele Mehrfachbuchungen aus. Ganz im Gegenteil: Nach insgesamt solid besetzten Schweizer Festivals im Vorjahr hatte angesichts der weiter angewachsenen Konkurrenz in Europa und der bekannten Bandgagen-Problematik mit einer Verschlechterung der hiesigen Festival-Line-Ups gerechnet werden müssen. Schliesslich ist es – das kann man mittlerweile sagen – in der Summe schweizweit aber deutlich besser herausgekommen als erwartet. (Demnächst mehr dazu bei openairguide.net)

Die zugespitzte Formulierung im SRF 3-Artikel zielt natürlich hauptsächlich auf Muse. Das ist durchaus verständlich. Denn es ist in der Tat sehr ungewöhnlich, dass eine Band gleich an drei Schweizer Festivals in einem Sommer auftritt. Bis anhin war ein solches Phänomen nur selten zu beobachten, vorab bei deutschsprachigen Bands – und natürlich Stress. Dass es in der Summe schliesslich fünf Muse-Shows in der Schweiz innerhalb von gut zwei Monaten sind, liest sich denn auch unschön, es gibt allerdings ein grosses ABER:

Die Festivalengagements am Gurtenfestival, am Montreux Jazz und am Paléo stören sich aneinander in keinster Weise: Diejenige Anzahl Besucher, die an allen drei Festivals anzutreffen sind, ist äusserst gering. Drei (!) Prozent der Zuschauer kommen am Paléo aus der Deutschschweiz (und dem Tessin addiert). Montreux ist traditionell die Anlaufstelle für besonders eingefleischte (und zahlungswillige) Fans, die ihre Lieblingsband im kleinen und akustisch guten Rahmen erleben wollen, während das Gurtenfestival auf den Rest abzielt: sämtliche Deutschschweizer Muse-Fans, welche beim rasanten Ausverkauf der beiden Hallenstadion-Shows zu kurz kamen und insbesondere die sehr grosse Anzahl an Festivalbesuchern, die nicht unbedingt für ein Einzelkonzert der Band bezahlen würde, den Auftritt der Briten auf dem Gurten aber dennoch als oberste Priorität auf ihrer Watchlist vermerkt haben.

Zudem gilt: Besteht eine realistische Möglichkeit, Muse zu buchen, so ist dies für jedes Schweizer Majorfestival ein Muss – auch wenn daraus ein Dreierpaket geschnürt wird (welches das Engagement im Endeffekt vermutlich erst ermöglichte..).

Ein Witz

Als weitere Beispiele von Mehrfachbuchungen im 2016 zudem The Chemical Brothers, M83, Sigur Ros oder Massive Attack zu erwähnen, ist ein Witz. Alle diese Acts spielen je einmal am Zürich Openair und am Montreux Jazz oder am Paléo. Die Besuchergruppen der Festivals noch einmal ins Gedächtnis gerufen: Es spielt überhaupt keine Rolle, ob neben einem Auftritt in der Deutschschweiz noch einer in der Romandie dabei ist. Kommt hinzu, dass (mit Ausnahme der Chemical Brothers) von M83 bis Massive Attack allesamt mit neuen Alben und neuen Shows unterwegs sein werden.

Mit dem Standing des Schweizer Marktes im internationalen Vergleich darf man im übrigen mittlerweile froh sein, wenn Acts dieser Grössenordnung bereits während ihres ersten Tourlegs hierzulande einen Zwischenhalt einlegen. Massive Attack sind hierfür gerade dasselbe Paradebeispiel, wie es im Vorjahr Florence + The Machine waren.

Dann geht's weiter im Text:
«Zudem sind die Headliner der aktuellen Schweizer Festivals oft eher alt. (...) Klar sind das Künstler, die das breite Publikum liebt und die gute Ticketverkäufe garantieren.»

srf3.ch

Als Beispiele für «eher alte» Headliner dürfen im Beitrag von SRF 3 Radiohead, Muse und The Chemical Brothers hinhalten. Dummerweise handelt es sich bei diesen Acts nicht nur um Künstler, die das breite Publikum liebt (Inwiefern sollte dies bei einem Bandengagement ein Killerkriterium sein?) und die gute Ticketverkäufe garantieren. Nein, es sind erst noch Bands, die sich ihren Status über mehrere Albumveröffentlichungen erarbeiten mussten. Und die als Gegenpol zu manch neuem, rasch hinaufbeschworenem Act stehen, welcher (in der leider Gottes schnelllebigen Musikbranche heutzutage) nach zwei bis drei Alben meist wieder ziemlich rasch (und zu Recht) in der Versenkung verschwunden ist. Eine Entwicklung, die es im vergangenen Jahrzehnt in regelmässigem Abstand zu beobachten gab..

«Doch imagetechnisch wäre es eine gute Idee, mehr Mut zu zeigen und auf neuere Bands als Headliner zu setzen.»

srf3.ch

Ja, aber was machen denn die Schweizer Majorfestivals diesen Sommer?! Das (traditionell wenig waghalsige) Gurtenfestival besetzt die prominenten Slots mit James Bay, Kygo und Rudimental, das Open Air Frauenfeld bringt Macklemore & Ryan Lewis bzw. Major Lazer, das Open Air Gampel Biffy Clyro und Parov Stelar Band, die genauso immer noch zur Gilde der «neueren» Bands zählen dürften wie auch (weiterhin) Mumford & Sons am Open Air St. Gallen. Dort, wo mit Marteria, nota bene ein weiterer jüngerer Act, vergangenes Jahr seinen äusserst prominenten Slot auf beeindruckende Weise rechtfertigte.

Und da wären dann noch die diversen Beispiele für «neuere» Acts, die trotz hohen Positionen im Line-Up ihre Auftritte vor mässig gefüllten und mässig begeisterten Reihen bestreiten durften. Man denke da insbesondere an Kasabian oder The Strokes (ja selbst Biffy Clyro) in St. Gallen zurück; die Arctic Monkeys am Zürich Openair 2013 sahen sich mit Ähnlichem konfrontiert – wie auch zuletzt The Libertines am Zürich Openair. (Die Prognose sei zudem gewagt, dass es selbenorts bei den The Last Shadow Puppets diesen August zuschauermässig nicht viel anders herauskommen wird..)

Und wie sah es bei den Shows von Arcade Fire und LCD Soundsystem im Sittertobel aus, zweier damals jüngerer Acts, die mittlerweile zu Coachella-Headlinern geworden sind? Grosse Shows, kaum Publikum. Dass es sich da mit (dem finanziellen) Aufwand und Ertrag für die Veranstalter nicht annähernd ausgeht, liegt auf der Hand – und hat nichts mit Mut zu tun.

Ganz nebenbei bemerkt: Nine Inch Nails – diese alten Säcke! – haben vor drei Jahren in Rümlang einen der begeisterndsten Auftritte der jüngeren Schweizer Festivalgeschichte aufs Parkett gelegt.

Ein Rätsel

Das allergrösste Rätsel an der angesprochenen Forderung nach mehr Mut der Schweizer Festivals bleibt aber, warum dies alles aus «imagetechnischen» Gründen geschehen sollte. Was soll das denn genau bringen? Der Begriff lässt auf eine typische Haltung derjenigen Sorte Festivalfans schliessen, die sich heutzutage (neben so vielem anderen) auch mit den Line-Ups von Festivals profilieren wollen.

Wo liegt der Sinn darin, wenn ein Festival ein «imagetechnisch» gutes Programm hat? Was soll es bringen, wenn 30 angesagte Bands am selben Festival spielen? Klar, das Line-Up des Glastonbury-Festivals in England liest sich jedes Jahr wie ein Traum. Aber was nützen dem Festivalbesucher 30 Überschneidungen oder die 15 Bands, die zwar der zweitheisseste Scheiss sind, man aber verpasst, weil man an den Konzerten der 15 anderen Hot-Shit-Bands ist? Das Glastonbury kann sich mit seinem Prestige eine solche Bandauswahl leisten. Aber wie soll sich ein solches Vorhaben für einen Schweizer Festivalveranstalter auszahlen?

Zum Schluss noch dies: Es ist übrigens etwas Schönes, auch und gerade an Schweizer Festivals, in der nicht konkret für Konzerte verplanten Zeit vor die mittlerweile diversen Bühnen zu pilgern. Und es gibt übrigens nicht viel Schöneres, als dies bei Acts zu tun, von denen man zuvor nichts gehalten hatte, um dann urplötzlich seine Meinung ändern zu müssen – ganz egal, ob es sich dabei um ältere, jüngere oder «imagetechnisch» schlechte Bands handelt.

Habt mehr Mut, Schweizer Festivals!


Gleichwohl dürften die Schweizer Festivals ruhig mehr Mut beweisen – und zwar bei den einheimischen Acts. Damit sind indirekt die grösseren Bands hierzulande gemeint, die quasi ihr Abonnement für die Majorfestivals gelöst haben. Zugute halten muss man diesen hierbei allerdings, dass diese Auftritte oft auch mit einem neuen Album einhergehen, was ein Engagement nun halt mal in so gut wie jedem Fall rechtfertigt. (Es muss ja trotzdem nicht gleich an jedem grösseren Festival sein..)

Mehr Mut darf und soll aber den (noch nicht) ganz so grossen Schweizer Acts gegenüber gezeigt werden! Denjenigen Bands, die bis dato im Normalfall auf sehr frühen Slots (egal ob Haupt- oder Zeltbühne) oder auf separaten (Klein-)Bühnen platziert werden. Das m4music am vergangenen Wochenende in Zürich hat zum x-ten Mal gezeigt, dass die hiesige Musikszene über genug potenzielle Acts verfügt, die mit Sicherheit auch auf besser dotierten Slots zu brillieren wüssten.

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