Ein begeisterndes Erlebnis

openairguide.net am Sonàr 2012: wenn fast alles passt

Barcelona spielt auch in Sachen Festivals in der Champions League vorne mit. Nach dem Primavera Sound lockte dieses Wochenende das Sonàr knapp 100'000 Besucher in die katalanische Metropole. openairguide.net war an zwei Nächten dabei - und begeistert.
Volles Haus am Sonàr 2012 in Barcelona
Volles Haus am Sonàr 2012 in BarcelonaPhoto: sonar.es
Dass ein Festival in einer Weltstadt trotz wenig attraktivem Austragungsort auf einem Messegelände eine besonders angenehme Atmosphäre kreieren kann, ist zunächst erstaunlich. Im Nachhinein überrascht es aber nicht, denn die Nachtausgabe des Sonàr Festival in Barcelona punktet mit einer hervorragenden Infrastruktur und einem dankbaren, bunt durchmischten Publikum. Und auch die auftretenden Bands lassen sich ganz offensichtlich von der besonderen Atmosphäre mitreissen, aber dazu später mehr.

Den Tag durch hatte das «Sonar by day» vom Donnerstag, 14. bis Samstag, 16. Juni 2012 noch eingefleischte Anhänger, Künstler und diverse Vertreter der elektronischen Musikszene zu Workshops, Präsentationen und Newcomer-Showcases mitten ins Zentrum von Barcelona geladen. Die breite Masse sparte seine Kräfte aber jeweils für das «Sonar by night» am Freitag- und Samstagabend auf. Im etwas ausserhalb gelegenen, aber problemlos mit der Metro erreichbaren «Gran Fira»-Konferenzzentrum spielten an beiden Tagen von 2200 bis 0600 total über 50 namhafte DJs und Bands aus den Sparten Indie, Hip-Hop und Elektro auf einer riesigen Indoor- (Kapazität: 25'000) und zwei Aussenbühnen für 10-15'000 Besucher.

Ein Hip-Hop-Act thront über allen

Musikalisch entsprangen die Überflieger der diesjährigen Edition nicht dem elektronischen Genre. Das Hip-Hop-Kollektiv The Roots aus Philadelphia lieferte am Samstag kurz vor Mitternacht ein fantastisches Liveset ab, das den Massstab für die nachfolgenden Acts sehr hoch legte. Die bestens aufgelegte Band (mit Tuba!) um den kommunikativen Frontmann Black Thought widmete ihren Auftritt dem kürzlich verstorbenen Beastie Boys-Mitglied Adam Yauch und glänzte mit einer mitreissenden Performance. Neben Gänsehautmomenten («You Got Me»), Hits («Next Movement», «The Seed») durften dabei auch die obligaten Jams zwischendurch nicht fehlen. Eine rundum gelungene, anderthalbstündige Angelegenheit, die Publikum und Band gleichermassen beglückte und Vorfreude auf ihr Konzert Mitte Juli am Gurtenfestival in Bern aufkommen lässt.



Ähnliche Begeisterungsstürme lösten auch die Auftritte der grandiosen Hot Chip (mit Obernerd Alexis Taylor im rot-weissen Overall und Joe Goddard in einem herrlichen weissen Anzug) und der Friendly Fires (am Vorabend) aus, die beide überragende Setlists aus alten und neuen Songs mit vielen Hits parat gemacht hatten. Derweil jagte vor allem am Samstag ein Höhepunkt den anderen. Bevor das Berliner Duo Modeselektor um 0400 morgens rund 15'000 enthusiastische Fans vor die zweitgrösste Bühne lockte, hatte zunächst das Set von Deadmau5 in der vollen Halle für Gedränge gesorgt. Nicht wirklich überraschend, hatte die Zugkraft des kanadischen DJs am zweiten Festivaltag viel jüngeres (aber keineswegs unangenehmes) Publikum als noch am Vortag angezogen und massgeblich zum «sold out» an diesem Abend beigetragen. Schliesslich war es dem französischen Elektropionier Laurent Garnier vorbehalten, die Nacht-Ausgabe 2012 des Sonàr - die 30 Stunden zuvor mit einem hervorragenden Nicolas Jaar einen glorreichen Auftakt erlebt hatte - zu einem mehr als würdigen, gelungenen Ende zu bringen.









Zwei prominente Enttäuschungen

Der bisherige, sehr positive Eindruck soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch (wenige) musikalische Enttäuschungen an diesem Festival gab. Während DJ-Ikone Fatboy Slim seine mit wenig erquickenden Visuals aufgepeppte Show (inkl. «Save The World» von Swedish House Mafia?!?) zum Schluss mit packenden Mixes seiner Hits «Praise You» und «The Rockafeller Skank» wenigstens noch einigermassen in die richtige Spur lenken konnte, hinterliess das DJ-Set von James Blake viele Fragezeichen. Es darf ja von einem Künstler nicht verlangt werden, dass er bei einem solchen Set nur eigene Songs auflegt. Aber doch war die Verwunderung sehr gross, dass in dieser Stunde beliebige Dancehall-, East-Coast-Hip-Hop- und auch Destiny's Child-Tracks zu hören waren, die einen roten Faden in dieser Performance komplett vermissen liessen.

Neben der stimmungsvollen Besuchermenge punktet das «Sonar by night» - wie eingangs erwähnt - ebenfalls mit seiner Infrastruktur. Das Gelände an sich versprüht beim ersten Anblick zwar keinen besonderen Charme. Sterile Messehallen, kein aufwendiges Bühnendekor. Nicht lange dauert es aber, bis man dessen Vorteile erkennt. Nach lediglich fünfminütigem Anstehen beim Einlass verteilt sich im Anschluss innert kürzester Zeit die Besuchermenge auf dem weitläufigen, aber dennoch kompakten Areal. Die inexistenten Wartezeiten zählen erfreulicherweise zum Standard des Festivals. An den diversen Bars wird man trotz über 40'000 anderen Besuchern umgehend bedient, vor den zahlreichen Toiletten muss man im Normalfall ebenfalls nicht warten. Dass die Bühnen etwas gar spärlich geschmückt sind, gerät ebenfalls schnell in Vergessenheit. Durchs Band gut abgemischter, lauter Sound und schnelle, fünf- bis zehnminütige Umbaupausen zwischen den Acts bescheren dem Festival ebenso weitere Bonuspunkte, wie die Tatsache, dass man trotz der grossen Zuschauerzahl ohne Gedränge innerhalb von drei Minuten von der ersten zur zweiten und dritten Bühne gelangen kann.

Die Preise für Essen und Trinken bewegen sich am Sonàr auf Schweizer Niveau: 3dl Bier kosten vier Euro, ein Longdrink acht Euro. Die frisch zubereitete Pizza kostet neun Euro. Dass auf dem ganzen Gelände gefühlte zwei Abfalleimer aufgestellt sind, fällt erstaunlicherweise nicht sonderlich ins Gewicht. Ein Schelm, wer denkt, dass die trotzdem ausgebliebene Abfallmenge mit den nicht vorhandenen Promo-Girls auf dem Gelände zu tun haben könnte. Überhaupt ist - abgesehen von ein paar wenigen, mobilen Bier- und Red-Bull-Verkäufern - keine einzige (!) Werbung auf dem ganzen Festival auszumachen..

Jung und Alt aus aller Welt

Einen grossen Teil zum wirklich angenehmen Festivalambiente trägt neben dem mediterranen Klima (über 20 Grad Celsius die ganze Nacht hindurch erlauben T-Shirt und kurze Hose oder Kleid) das bestens gelaunte Publikum bei. Zwischen 20 und 60 Jahre alt treffen sich Musikfans aus der ganzen Welt am Sonàr in Barcelona. Neben der überwältigenden, spanischen Mehrheit reisten zahlreiche Zuschauer aus ganz Europa und den USA an.

Das Gesamtfazit fällt mehr als positiv aus. Trotz seiner Grösse - die 98'000 Besucher dieses Jahr bedeuteten Zuschauerrekord - glänzt das «Sonar by night» mit hervorragender Infrastruktur, kaum Wartezeiten, guten Soundanlagen und einem begeisterungsfähigen, friedlichen Publikum. Sollte das Line-Up kommendes Jahr erneut ähnlich ansprechend ausfallen, gibt's im Juni 2013 definitiv wieder einen Abstecher nach Barcelona..
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