Aus Fehlern gelernt

Zürich Openair 2012 im Rückblick: Ein Festival entwickelt sich weiter

Noch am ersten Festivaltag war ein kleiner «Shitstorm» über das Zürich Openair 2012 gezogen. Ein Augenschein vor Ort am Sonntag offenbarte aber, dass an der zweiten Ausgabe des Festivals doch auch Vieles gut gemacht wurde.
Der sonntägliche Höhepunkt: Hot Chip mit Sänger Alexis Taylor (Bild)
Der sonntägliche Höhepunkt: Hot Chip mit Sänger Alexis Taylor (Bild)Photo: zurichopenair.ch
Wenn ein Festival mitten während seiner Austragung eine offizielle Stellungnahme veröffentlicht, muss ziemlich viel schief gelaufen sein. So ist es am vergangenen Wochenende dem Zürich Openair ergangen. Mit spektakulären, teuren Namen im Line-Up (Kraftwerk, The Killers, Skrillex & Co) und dem nicht gerade besten Image im Kreise der grossen Schweizer Festivals gesegnet, ist die Veranstaltung kurz nach ihrem Beginn im Internet in ein relativ heftiges Kreuzfeuer der Kritik geraten. Neben fehlenden Wasserstellen, falschen Versprechungen und zu leisem Sound wurden dabei von zahlreichen Besuchern hauptsächlich das (im Vorfeld nicht angekündigte) Bezahlsystem mit einer eigenen Festivalwährung bzw. die daraus resultierenden Warteschlangen beim Umtausch harsch kritisiert.

Konzept des Geländes gefällt

Eine gute Gelegenheit also, zum Abschluss des zweiten Zürich Openair einen sonntäglichen Abstecher nach Rümlang zu wagen und sich selbst einen Überblick zu verschaffen. Schon nach wenigen Metern auf dem Festivalgelände wird klar, dass der grossflächig verlegte Boden den ausgiebigen Regenschauern an den Vortagen mehr als vernünftig getrotzt hat. Statt im Schlamm zu versinken, gerät der Aufenthalt vor den Bühnen zu einer ziemlich angenehmen Angelegenheit. Zudem ist das gesamte Gelände mit seinen zahlreichen Ständen gut und einheitlich beschildert. Erfreulich auch, an einem grossen Schweizer Openair mal nicht von zig gesponserten Bauten (und deren Promoteams) begrüsst und bestürmt zu werden. (Wollte man nicht mehr Sponsoren oder konnte man nicht mehr überzeugen?)

Soundprobleme sind - zumindest an diesem Sonntag - ebenfalls nicht in Sicht. Vom einladenden, weil mit vielen Sitzgelegenheiten eingerichteten Food Corner kann man die ersten (ruhigeren) Konzerte des Tages auf den beiden Freiluftbühnen (BAUM, die ansprechende Alternative-Popband Alt-J aus England oder das (leider) nicht sonderlich überzeugende schwedische Duo First Aid Kit) jedenfalls gut hören.

Es sieht ganz danach aus, als ob die 14 Lärmklagen am Donnerstag dazu geführt hatten, dass man sich seitens der Veranstalter am Freitag besonders strikt an die gesetzlichen Richtlinien hielt. Wenngleich im Falle von The Prodigy, wo es Berichten zufolge aussergewöhnlich leise gewesen sein soll, daran erinnert werden darf, dass diese Band schon bei ihrem Auftritt am Southside 2010 mit ähnlicher Kritik konfrontiert worden war und vielleicht selber nicht ganz unschuldig an diesem «Problem» sein dürfte..

Hot Chip: mal wieder ein Highlight

Aber zurück zum Festivalsonntag, wo man sich über zu leise Musik nicht beklagen konnte. Direkt vor der Bühne vermögen die Lautsprechersysteme mit klarem Sound zu punkten und sind mit ein Grund, warum sich am späten Nachmittag der Auftritt von Hot Chip zum absoluten Höhepunkt des Tages entwickelt. Bei strahlendem Sonnenschein weiss die Band um Sänger Alexis Taylor (er dieses Mal in einer göttlichen Gelb-anderes-Gelb-Hosen-Mantel-Kombination) das tanzfreudige und gut gelaunte Publikum - wie schon am Sonàr in Barcelona - mit einer tadellosen Performance und toller Setlist zu begeistern. Besonders auffällig dabei erneut die eindrucksvolle Schlagzeugerin Sarah Jones (u.a. Bat For Lashes, New Young Pony Club), die nach der Show vielerorts - bei Mann und Frau nota bene - zum Gesprächsthema werden sollte.

Mit der exklusiven Weltpremiere (erster Auftritt überhaupt nach der Aufzeichnung in der Balver Höhle und noch vor der TV-Ausstrahlung im Oktober) der zweiten Version von Die Fantastischen Vier - Unplugged hat das diesjährige Zürich Openair nicht nur nachweislich viele Fans aus dem benachbarten Deutschland angelockt, sondern auch einen passenden Abschluss für seine Zweitausgabe gefunden. Die gewohnt spassig aufgelegten Rapper Smudo, Thomas D und Michi Beck schaffen es problemlos, das zahlreich erschienene Publikum zu unterhalten. Und auch die von der 23-köpfigen Band neu umgesetzten Songs funktionieren auf der grossen Bühne erwartungsgemäss bestens.



Fehler schnell ausgemerzt, einige Kritikpunkte bleiben

Bezüglich Warteschlangen und Bezahlsystem lässt sich vom Schlusstag am Zürich Openair 2012 nichts Negatives berichten. Bei den Toiletten und Essensständen wartet man schlimmstenfalls maximal fünf Minuten. Wie von anderen Besuchern zu erfahren ist, sind die Wechselschalter für die Festivalwährung (im Vergleich zum Donnerstag) mittlerweile ausreichend mit Personal besetzt. An den Umgang mit den Münzen (Wert: CHF 2.50) habe man sich ebenfalls zügig gewöhnt. Ein System, das sich an den grössten Festivals in Europa (u.a. Rock Werchter) etabliert hat, sollte auch in der Schweiz umsetzbar sein. So konzentriert sich die (berechtigte) Kritik nach Festivalende nun denn auf einige wenige Punkte, die für ein Openair in dieser Grössenordnung und mit diesen Ansprüchen (ein solches Line-Up verpflichtet..) nicht zu vernachlässigen sind:

- Wer es schafft, 180 Toiletten mit eigenen Spülungen anzubieten, sollte zwingend in der Lage sein, auch noch eine Reihe Wasserhähne - wie man sie von den anderen grossen Festivals kennt - ausserhalb der Toilettenanlagen hinzustellen. Womit im übrigen gleich das diesjährige Problem mit dem fehlenden (und an einem Openair absolut notwendigen) Gratis-Trinkwasser behoben würde..

- Warum nicht den grosszügig mit Sitzbänken ausgestatteten und an sich attraktiven Essensplatz überdachen? Bei Regen oder Hitze einen grösseren Zufluchtsort zu gestalten, dürfte nicht allzu schwierig umzusetzen sein. Die vorhandenen Zelte und Stände reichen als Unterstand nicht aus.

- An einem grossen Festival sollte die Möglichkeit bestehen, Bargeld an einem Automaten beziehen zu können. Man kann den Besuchern nicht zumuten, vier Tage mit viel Geld (und allen Wertsachen) in der Tasche verbringen zu müssen, v.a. bei der hohen Anzahl Diebstählen, die alljährlich an den Openairs gemeldet wird. Schliessfächer wären hierbei sicher eine Option gewesen. Dass man diese aber trotz Ankündigung völlig vergessen habe, wirft verständlicherweise auch nicht gerade das beste Licht auf die Organisation..

- Und das Wichtigste zum Schluss: ein Festival und seine Stimmung lebt nicht nur von den Besuchern, sondern auch von seinen freiwilligen Helfern. Was im Vorfeld (mangelhafte, späte Informationspolitik) und während des Openairs (1x Verpflegung pro Tag?) in dieser Hinsicht für Stories zum Vorschein gekommen sind, kennt man in solchem Ausmass von den anderen Schweizer Festivals nicht.

Zufriedene Veranstalter

Allen Widrigkeiten zum Trotz zeigte sich das Organisationskomitee des Zürich Openair um Festivalchef Rolf Ronner zum Schluss zufrieden. Insgesamt 63'000 Fans waren an den vier Tagen nach Rümlang angereist; am besten besucht war der Freitag (The Prodigy, The Chemical Brothers & Co) mit 21'000 Zuschauern. Man sei auf gutem Weg, dieses Jahr schwarze Zahlen zu schreiben, berichtete Ronner in seinem Fazit gegenüber der Festivalwebsite. Für die Ausgabe 2013 seien dazu Überlegungen im Gange, das Zürich Openair eine Woche nach hinten zu verlegen. Und wenn die neu aufgetauchten Probleme ähnlich gut behandelt werden wie dieses Jahr, stehen die Chancen nicht schlecht, dass bereits die dritte Auflage des Festivals in organisatorischer Hinsicht noch einen weiteren Schritt näher an die nationalen Aushängeschilder machen dürfte.
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