Traumhaftes Ambiente und tolle Bands

Dockville 2013: ein Schmuckstück im Norden

openairguide.net auf Entdeckungsreise im Ausland: In Hamburg haben die Macher des Dockville ein Festival kreiert, das gleichsam mit Location, Gelände und Bands glänzt. Dieses Wochenende fand es zum siebten Mal statt.
Einzigartiges Flair: Reptile Youth in der Abendsonne am Dockville 2013 in Hamburg.
Einzigartiges Flair: Reptile Youth in der Abendsonne am Dockville 2013 in Hamburg.Photo: Hinrich Carstensen / zVg., Dockville
Von einem derartigen Festivalgelände können viele Veranstalter nur träumen: Das Areal des Dockville auf der Elbinsel Hamburg-Wilhelmsburg - umgeben von Gewässer und einer Skyline aus historischen Industrieanlagen und Baukränen - hätte allein schon dank seiner malerischen Lage genug Ambiente zu bieten. Die ist nämlich kein Vergleich zu den Flugplätzen, umgepflügten Äckern oder sonstigen trostlosen Stätten, wo in ganz Europa Festivals aus dem Boden gestampft werden.

Liebevoll hergerichtet

«Nur» mit der natürlichen Beschaffenheit des Geländes inmitten der imposanten Hafenkulisse geben sich die Organisatoren allerdings nicht zufrieden. Das gesamte Areal am Dockville ist mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Im Vorfeld von internationalen Künstlern errichtete Installationen säumen die Wege, einzelne Bühnen sind aus Holzkonstrukten angefertigt, die Speicher am anderen Elbufer werden nachts angeleuchtet, angesprayte Baumrinde fungiert als Wegweiser und selbst die wenigen Sponsorenbauten wirken nicht so fremdkörperhaft wie an anderen Festivals.

Auch für die Anreise hat man sich etwas Besonderes einfallen lassen: Als Alternative zum regulären, erfreulich mühelosen Trip mit S-Bahn (5 Minuten Fahrt vom Bahnhof) und Shuttlebus (kaum Wartezeit) konnten Besucher dieses Jahr neu auch in einer Hafenbarkasse (historisches Hamburger Schiff) von den Landungsbrücken über die Elbe bequem bis ins Areal schippern.


Nächtlicher Blick auf den Rethespeicher (Photo: Thomas Quack)

Kein Wunder also, dass die Veranstalter des Dockville das zähe Ringen um den einzigartigen Standort mit Eigentümer und Politik seit einigen Jahren auf sich nehmen. Denn das Gebiet ist einem steten Wandel unterstellt, soll irgendwann anders genutzt werden. So wurden bereits früher noch als Indoorbühnen benutzte Fabrikhallen in den vergangenen Jahren abgerissen und ganze Flächen umgestaltet. Vor einigen Monaten ist zudem auf der Insel rund um den Bühnenbereich ein modernisierter Uferpark entstanden, von dem das Festival aber profitieren kann - dank wetterfestem Untergrund, Kieswegen oder zum Sitzen und Verweilen einladenden Steintreppen. Zumindest für die kommenden zwei Jahre wird der praktische Park als Heimat für das Festival weiter zur Verfügung stehen. Nach «tausend Gesprächen und Hunderten von Briefen» ist der Austragungsort Wilhelmsburg von der Stadt Hamburg vorerst bis 2015 fest zugesichert worden.

Fast ausverkauft

Vom ehemaligen Geheimtipp hat sich das Dockville längst zu einem der relevantesten Festivals im Norden Deutschlands gemausert. Dieses Wochenende strömten rund 25'000 Besucher an die die siebte Ausgabe. Zwei der drei Festivaltage waren ausverkauft. Mit Ausnahme von einzelnen üblichen Engpässen vor den Bühnen bei den Headlinerauftritten fiel die Zuschauermasse aber nicht sonderlich auf.

Eine Auffälligkeit sorgte dennoch für mancherlei Schmunzeln: «Hier sehen alle Leute gleich aus», so der Tenor. Und da war durchaus etwas dran. Der Kleidungsstil der durchschnittlich etwa 20-jährigen Besucherin bestehend aus Jutebeutel, mit Glitzer oder Farbe geschminktem Gesicht, Sommerkleid, Leggings oder abgeschnittenen Hotpants und bunten Socken hätte angesichts des häufigen Vorkommens glatt als Dockville-Uniform durchgehen können.

Crystal Fighters und Foals als Höhepunkte

Aber zurück zum wirklich Wesentlichen an einem Festival: dem Line-Up. Über 100 internationale Bands und DJs - mehrheitlich aus den Sparten Indie, Elektro und Hip-Hop - gastierten dieses Wochenende auf den sechs Bühnen am Dockville. Den überzeugendsten Auftritt lieferte dabei die spanisch-englische Multikulti-Dance-Combo Crystal Fighters mit ihrem durchgedrehten Frontmann Sebastian Pringle in der samstäglichen Abendsonne ab. Das einstündige Feuerwerk umfasste sämtliche Hits ihrer bisher erschienen zwei Alben, von «Plage» über «Love Is All I Got» bis hin zu «At Home». Ähnlich gut waren tags zuvor die Foals bei ihrer Headlinershow unterwegs. Mit ihrer eigenwilligen Mischung aus Math- und Indie-Rock boten die Briten ebenfalls ein knackiges, publikumsnahes Set an, das mit 60 Minuten zudem die optimale Länge hatte.


Sehr gut: die Foals am Dockville 2013 (Photo: Thomas Quack)

Die dänische Elektro-Clashband Reptile Youth hatte bereits vor ein paar Wochen am Paléo nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Nach längeren Anlaufschwierigkeiten sollte das nun in Hamburg im Ansatz erneut gelingen. Dies dank einer geglückten, weil eher seltenen Publikumsanimation: Von ihrer Bühne «Maschinenraum» aus gestaltete sich der Ausblick für die Band auf Kräne, Wasser und die untergehende Sonne derart schön, dass die Fans aufgefordert wurden, sich für einen Song umzudrehen, um in den gleichen Genuss zu kommen. Damit war der «Kopenhagener Abend» angemessen eingeläutet, wo auf Sängerin Mø im Anschluss noch Produzent Rangleklods folgte, dessen ambitionierte Elektro-Kompositionen zu Recht auf grossen Anklang stiessen.

Eine Bühnenkonstellation als einziger Kritikpunkt

Bereits am späten Freitagnachmittag war der deutsche Newcomer Milky Chance vom überwältigenden Interesse regelrecht überrumpelt worden. Schon beim Soundcheck frenetisch bejubelt, spielten dem jungen Hessen hernach die Nerven zwei Mal einen Streich, Strophen gingen komplett vergessen. Dem sympathischen Kerl, der in den vergangenen Monaten mit seinen relaxten Songs, deren Beats teils stark an Paul Kalkbrenner erinnern, via Youtube einen unermesslichen Popularitätsschub erlebt hatte, sah man dies aber nach. Weit ärgerlicher kam bei seinem Konzert die ungünstige Bühnenposition zur Geltung, wie später auch bei den guten MS MR aus New York. Direkt neben der «Vorschot»-Bühne - nur von einigen Bäumen getrennt - war der an sich mehr als charmante und idyllisch in einer Lichtung platzierte «Butterland»-DJ-Sockel aufgestellt, dessen Lautstärke in den ruhigeren Momenten auf der danebenliegenden Bühne leider äusserst störend dazwischenfunkte.


Sichtlich nervös und äusserst sympathisch: Milky Chance aus Kassel (Photo: Pablo Heimplatz)

Ansonsten gab es in musikalischer Hinsicht aber kaum etwas zu meckern. Die nächtlichen DJ-Sets von Alle Farben, John Talabot - trotz vorhandener Enttäuschung in Erwartung eines Livesets - oder Kid Simius verliefen im Gegensatz zum enttäuschenden A-Trak solide. Dazu vermochte lediglich bei den an sich gut dotierten deutschen Indie-Acts Sizarr und Fuck Art, Let's Dance der ominöse Funke nicht so richtig überzuspringen.

Erwartet pompös war der Auftritt von Woodkid, der mit seinem klassischen, mit stampfender Perkussion unterlegten Epic-Pop das Publikum in Scharen vor die Hauptbühne («Grossschot») lockte. Filmische Atmosphäre entstand ebenfalls bei der ruhigen dänischen Sängerin Agnes Obel. Ihre herzerwärmende Stimme bot im Schatten der Getreidespeicher den passenden Soundtrack zum Ausklang eines gemütlichen Festivalsonntags, der mit einem kurzen, aber heftigen Wolkenbruch und den kurzfristig für Kakkmaddafakka eingesprungenen FM Belfast - mit gewohnt einfach gestricktem Eurodance-Trash - ein würdiges Ende fand.

Tickets für 2014 ab Herbst

Kommendes Jahr findet das Dockville vom 15. bis 17. August 2014 statt. Wer einen - an dieser Stelle explizit empfohlenen - Städtetrip nach Hamburg mit einem Festivalbesuch auf einem wunderbar eingerichteten, gut erschlossenen Gelände in einzigartiger Umgebung und mit interessanten Acts und Newcomern aus Indie, Elektro und Hip-Hop verbinden möchte, sollte sich den Termin für den Vorverkaufsstart diesen Oktober schon einmal vormerken.

So waren die Konzerte am Dockville 2013


A-Trak
Agnes Obel
Alle Farben
Austra
Crystal Fighters
DJ Koze
El Perro Del Mar
Foals
FM Belfast
Fuck Art, Let's Dance
John Talabot
Kid Simius
Haim
Milky Chance
MS MR
Rangleklods
Reptile Youth
Sizarr
TOY
Woodkid








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