Purer Soulfood

Der Koch l(i)ebt es vor - So war Charles Bradley in Zürich

Ein halbes Jahrhundert hat sich Soulsänger Charles Bradley für die Verwirklichung seines Traums durch das Leben gekämpft. Am gestrigen Eröffnungsabend des 15. jazznojazz brachte er viel Liebe nach Zürich.
Hatte viel Liebe zu geben: Charles Bradley unmittelbar nach Konzertende gestern.
Hatte viel Liebe zu geben: Charles Bradley unmittelbar nach Konzertende gestern.Photo: instagram.com/openairguide
Kurz vor 21:30 Uhr gestern Abend im ewz-Unterwerk Selnau in Zürich. Die rund 80-minütige Show des «Screaming Eagle Of Soul» Charles Bradley ist in den letzten Zügen. Für zwei Zugaben war der 64-jährige Amerikaner zuvor auf die Bühne zurückgekehrt, welche er nun zum zweiten Mal in Richtung Publikum verlässt. Wie schon einmal während dem regulären Set wird er sich vermutlich bei den Zuschauern in den vordersten Reihen persönlich bedanken wollen.

Doch weit gefehlt: Während seine «Extraordinaires», die formidable sechsköpfige Begleitband, munter weiterspielt, bewegt sich der Lichtstrahl der Security-Taschenlampe kontinuierlich weiter durch die Besucherreihen. Bradley bahnt sich - von erstaunlich vielen Leuten unbemerkt - seinen Weg, wird da und dort umarmt und sitzt wenige Minuten später, just als die Band zu spielen aufhört, hinten am Merchandisestand und signiert erste Platten und Shirts. Herzallerliebst! Von seinem als Anheizer agierenden Organisten als «Giver of love» angepriesen, wird er seinem Ruf mehr als gerecht. Er hat auch nach Konzertschluss noch viel Liebe für sein Publikum übrig.

Grosse Garderobe

Es ist nicht das einzige Erstaunen, das Bradley mit seiner Schlussaktion an diesem Abend auslöst. Als er nach 25 Minuten Konzert erstmals die Bühne verlässt, geht man davon aus, dass er wegen seines Alters vielleicht eine Pause braucht oder einmal die Aufmerksamkeit stärker auf seine sechs Musiker lenken will. Dem ist aber nicht so. Nach einigen Augenblicken taucht der Sänger nämlich von einem Raunen begleitet wieder im Scheinwerferlicht auf - in neuem Kostüm. Tatsächlich hatte er doch seine in Weiss gehaltenen Hosen inklusive gleichfarbigem Glitzer-Oberteil in ein schwarzes Hemd und eine rote Hose getauscht.

Und der Kleiderwechsel passt zweifellos zu Charles Bradley. Er ist ein Showman durch und durch. Wenn er seinen Herzschmerz nicht gerade mit voller Kraft, geschlossenen Augen, weit ausgebreiteten Armen und dem beeindruckenden Gesang aus sich herausschmettert (bisweilen auch in James-Brown-Manier schreit), setzt er sich in Pose, überrascht mit herumwirbelnden Tanzeinlagen und Hüftschwüngen oder schultert den Mikrofonständer.

Man mag sich kaum vorstellen, was für Stimmung er in den Küchen ausgelöst haben muss, in denen er während 30 Jahren gearbeitet hatte. Selbst sein Solo am Theremin - das ist dieser spannend zu beobachtende Synthesizer, der auf Handbewegungen in der Luft reagiert - zu «Confusion» schmückt Bradley mit einer dazugehörigen Robodance-Performance aus. Und müssig zu erwähnen, dass er zur Zugabe erneut in neuem Outfit (nun ist auch das Oberteil rot) erscheint.

Denn er weiss, wovon er spricht

Wie es sich für einen ehemaligen James-Brown-Imitator gehört, beschränkt sich sein Wirkungsfeld aber nicht nur auf Einlagen. Predigtartige Ansagen gehören genauso dazu. Vor seinem persönlichen Lieblingssong «Let Love Stand A Chance» preist Bradley die «real love» an, zwischenzeitlich ruft er die Gleichbehandlung aller Menschen in Erinnerung («Don't forget the black rose!») oder fordert auf, sich nie aufzugeben. Und wer kann solche Zeilen («Don't give up, keep going!») glaubwürdiger rüberbringen als Charles Bradley? Er, der sein Leben lang unten durch musste, bis sein Traum vor zwei Jahren endlich in Erfüllung ging.

Soulmusik hat viel mit Authentizität und Emotionen zu tun. Die Echtheit ist Bradley aufgrund seiner Biografie ins Gesicht geschrieben. Den gefühlvollen Teil liefert er im Zusammenspiel mit den sich angenehm im Hintergrund haltenden «Extraordinaires» und seiner berührenden Reibeisenstimme. Vor allem die erste Konzerthälfte mit «Crying In The Chapel» und «How Long», wo man ihm sein erlittenes Leid jeweils sofort abnimmt, oder dem funkigen «The World (Is Going Up In Flames)» ist reich an Höhepunkten. «Why Is It So Hard» in voller Inbrunst schliesst zum Abschluss den Bogen eines Abends, an dem man viel Soulfood hatte einverleiben können - dank dem grossen Herzen eines gelernten Kochs.

Heute Abend (Donnerstag, 31. Oktober 2013) spielen Charles Bradley & His Extraordinaires ein weitere Show in der Kaserne in Basel. Tickets dafür sind für 35 Franken bei Starticket erhältlich.
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