So waren Haim in Zürich

Die Herkunft offenbart

Manch Zuschauer wähnte sich gestern in der ausverkauften Härterei zunächst am falschen Ort. Das amerikanische Schwesterntrio Haim präsentierte sich deutlich rockiger als im Radio - und erntete damit verdientermassen viel Zuspruch.
Heute in Manchester auf der Bühne: Sängerin Danielle von Haim.
Heute in Manchester auf der Bühne: Sängerin Danielle von Haim.Photo: Screenshot / Youtube, Preston Sullivan
War es nun Konsternation? Staunen? Oder vielleicht schon ein erster Anflug von Enttäuschung? Auf jeden Fall war es köstlich zu beobachten, welch ungläubige Blicke sich zu Beginn der Show einige Pärchen im Publikum zuwarfen. Augenscheinlich entsprach das anfängliche Geschehen auf der Bühne nicht dem, was sie erwartet hatten. Arm in Arm ein bisschen zu den munteren Popsongs von Haim mitschunkeln, so wie man sie aus dem Radio kennt? Weit gefehlt!

Rock aus der Stube

Nachdem Alana, das 22-jährige Nesthäkchen der Band, wie eine Furie mit ihrer Maraca auf einer Trommel herumgeschlagen hatte, setzte Leadsängerin Danielle zu einem neuerlichen Gitarrensolo an. Wie bereits in jedem der drei bis dahin gespielten Songs. Von Anfang an hatten die drei Schwestern offen gelegt, dass ihre musikalischen Wurzeln im Rockgenre anzusiedeln sind. Es solle so sein wie früher, wenn sie in ihrem Wohnzimmer jeweils gemeinsam gejammt hatten, sagte die Dritte im Bunde, die grimassenschneidende Bassistin und unverblümte Wortführerin Este, als Ankündigung zu einer Coverversion von Fleetwood Mac's «Oh Well». Und dann krachte es. Wie in den 70er-Jahren und sehr zur Freude des älteren Klientels unter den Zuschauern.

Regelmässig brachen Haim aus ihrem Korsett aus, ersetzten den auf dem Album überwiegenden Anteil an Pop und R'n'B durch rockige Elemente. Witzigerweise war für den herausragenden Part des einstündigen Konzerts dann allerdings mit «My Song 5» dennoch ein Track verantwortlich, der mit seinem Basslauf und Beat fast schon in die Hip-Hop-Schublade eingeordnet werden könnte. Er übertrumpfte unter anderem die ebenfalls überzeugenden, unmittelbar aufeinanderfolgenden «Don't Save Me» und «Forever», die die Synthies zur Abwechslung mal wieder ein wenig in den Vordergrund drängen und den charakteristischen Wechselgesang zwischen Danielle und Este gross entfalten liessen.

London - Zürich - Manchester

Knapp acht Monate sind vergangen, seit das live mit einem Schlagzeuger und neuerdings auch mit einem Keyboarder verstärkte Trio zum ersten Mal vor Schweizer Publikum aufgetreten ist. Ende Juni 2013 spielten die drei Kalifornierinnen innerhalb von wenigen Stunden am Open Air St. Gallen und im Anschluss als Vorgruppe von Rihanna im Hallenstadion. Zwischen der Verleihung des NME-Awards als «Best International Band» in London am Vorabend und dem heutigen Auftritt am BBC 6 Music Festival in Manchester absolvierten sie nun gestern bei einem kurzen Abstecher in die seit Wochen ausverkaufte Härterei in Zürich ihre erste Soloshow.

Und zurück bleibt eine erfreuliche Feststellung: Es hat sich nicht nur gezeigt, dass die Band seit ihrer Premiere im Sittertobel besser geworden ist, sondern dass bei Haim - trotz des immensen Karriereschubs, den sie im vergangenen halben Jahr erfahren haben - noch immer allen voran drei unverfälschte und passionierte Protagonistinnen auf der Bühne stehen und nicht irgendein durchkalkuliertes Produkt der Musikindustrie.
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