- Nach der kurzfristigen Absage von Florence + The Machine und dem windbedingten Abbruch am Donnerstag hagelte es Kritik am Zürich Openair. Wo diese berechtigt war – und wo nicht.
- Warum es für Schweizer Festivals im Normalfall utopisch ist, kurzfristig einen Headliner-Act adäquat ersetzen zu können.
- Warum sich am System der Nicht-Rückerstattung bei Openairs kaum etwas ändern wird.
Sie waren nicht zu beneiden, die Leute, die für die Online-Kommunikation des Zürich Openairs zuständig sind. Zwei Worst-Case-Szenarien inklusive zweier Shitstorms innert vier Tagen – das muss man erst einmal schaffen.
Aber auch wenn die Kritik um die Absage von Freitags-Headlinerin Florence + The Machine und den Festival-Abbruch am Donnerstag teils berechtigt war, wirft die Anspruchshaltung des [Social-Media-]Publikums genauso Fragen auf.
Der Fall Florence
Das Zittern um den einzigen Schweizer Auftritt von Florence + The Machine begann exakt eine Woche davor – wegen einer Notoperation bei Sängerin Florence Welch mussten kurzfristig die Wochenend-Shows an zwei der grössten Festivals in Holland und Belgien abgesagt werden.
Unmittelbar danach dürfte auch beim OK des Zürich Openair die definitive Absage der Band eingetroffen sein. Bookingtechnisch der Worst-Case für jedes Festival. Denn einen Top-Act innert kürzester Zeit ersetzen zu müssen, ist weitaus komplizierter als es scheint:
- Je prominenter die Acts, desto durchgetakteter die Tourpläne. Das heisst: möglichst logische und einfach zu bewältigende Reiserouten zwischen Ort A und B sowie fest eingeplante Erholungstage [je nach Band unterschiedlich häufig]. Das alles ist Wochen oder Monate im Voraus bereits fixiert. Da kurzfristig einen Zusatzauftritt unterzubringen, benötigt Goodwill des Bandmanagements – und Geld.
- Je prominenter die Acts, desto grösser die logistischen und technischen Ansprüche an ein Festival. Das heisst: Die Bands bringen eigene Crews und eigenes technisches Material [Sound/Licht] mit – und natürlich eine ordentliche Ladung Anforderungen an das technische Setup des Openairs, um ihre Show möglichst so produzieren und umsetzen zu können, wie sie sie konzipiert haben. Allzu grosse Abstriche hierbei sind nicht im Interesse des Bandmanagements.
Doch das sind noch lange nicht alle Hürden, die es zu überspringen gilt. Ein Exklusivvertrag mit einem anderen Schweizer Festival könnte ebenfalls noch im Weg stehen. Oder dass die Anforderungen für den Bühnenumbau von der lokalen Crew nicht zu bewerkstelligen sind. Oder dass...
Naheliegende Lösungen
Und so läuft es bei den hiesigen Openairs dann halt meistens auf eine nationale Lösung oder eine aus einem der Nachbarländer hinaus. Siehe Fritz Kalkbrenner als indirekter Ersatz für Lewis Capaldi am Open Air St. Gallen oder eben Faber anstelle von Florence + The Machine am Zürich Openair.
Dass letztere nicht annähernd mit einem ähnlichen Act zu ersetzen waren, liegt auf der Hand. Mögliche Ersatz-Kandidatinnen wie Haim [gestern Montag europa-exklusive Show in London] oder Lorde [letzter Festivalauftritt am Wochenende davor in Portugal] wären utopisch gewesen. Und der Aufwand, zum Beispiel Birdy für den Freitag aus London einzufliegen, wo sie am Mittwoch noch ein Konzert spielte, hätte in keinem Verhältnis zum erwartbaren Ertrag gestanden.
Gemotzt wird so oder so
So wurde es die Schweizer Lösung Faber – und die war durchaus adäquat. Er füllt mittelgrosse Locations in der Schweiz und in Deutschland mittlerweile problemlos, ist 2023 nirgends aufgetreten, hat gerade ein neues Album angekündigt und ist musikalisch nicht in einem komplett anderen Spektrum unterwegs.Und doch wurde in den Social-Media-Spalten des Zürich Openairs munter gemotzt. Als ob man einen Headliner-Ersatz einfach aus dem Ärmel schütteln könnte. Der Witz daran: Das war beim Rock en Seine in Paris [Cypress Hill als Florence-Ersatz] oder dem Lowlands und Pukkelpop [innert 24 Stunden in Windeseile grössere nationale Acts als Ersatz engagiert] nicht anders.
Wie das Zürich Openair die Absage [nicht] kommunizierte
Mit einem [oft geäusserten] Kritikpunkt hatte der Social-Media-Mob aber recht: Die Art und Weise, wie das Zürich Openair die Absage von Florence + The Machine kommunizierte [oder eben nicht].- Der grösste Anteil der Besucherinnen und Besucher am Zürich Openair dürfte im Besitz von Tagestickets sein. Wer ein solches Ticket kauft, dürfte bei der Absage der Headlinerin des Tages schon damit rechnen dürfen, per E-Mail aktiv darüber informiert zu werden. Dies war aber nicht der Fall.
- Bis heute findet sich auf der Festival-Website kein Hinweis, dass der Auftritt von Florence + The Machine abgesagt worden war. Ihr Name wurde lediglich beim Freitags-Line-Up und dem Timetable ausgetauscht. Wer nicht bewusst darauf achtet, dem fällt das nicht auf.
- Wer [z.B. via Google] direkt auf die Band-Seite von Florence + The Machine auf zurichopenair.ch stiess, erhielt dort ebenfalls keine Information zur Absage des Auftritts. Die Seite ist noch heute im Originalzustand mitsamt Ankündigung «exklusive CH-Show» abrufbar.
- Fun Fact am Rande: Das Zürich Openair erklärt in Artikel 30 seiner AGB, wie sich seine Gäste online zu informieren haben: «Der Besucher muss sich, bevor er ans Festival anreist, regelmässig darüber erkundigen, ob das Festival stattfindet. Er findet die Information dazu auf der Website von ZOFAG oder sie wurde ihm per E-Mail übermittelt.» Nun, bei der Absage einer Headlinerin könnte man eine Information dieser Art schon auch erwarten.
- Bleibt noch Social Media: Mal abgesehen davon, dass die Algorithmen die Reichweiten von Storys und organischen Posts sowieso immer mehr einschränken und nur noch ein Bruchteil der Followerschaft erreicht wird. Die Absage von Florence + The Machine lediglich in einer 24 Stunden lang aktiven, geteilten Story plus in der Caption eines Bild-Posts zur Faber-Ankündigung [statt in einem eigenen Beitrag] zu erwähnen, ist schon ziemlich zurückhaltend.
Shitstorm wegen guter Wetterprognose
Und dann kam der Donnerstag – und das zweite Worst-Case-Szenario: Der Ausläufer einer Gewitterzelle traf das Openair-Gelände in Rümlang, wobei heftige Windböen einige Festivalbauten beschädigten. Herumfliegende Teile verletzten vier Personen, wie tags darauf bekannt wurde.Da war der Sturm im Netz aber schon längst im Gange: Kommuniziert hatte das Zürich Openair auf Social Media zunächst einen Unterbruch «aufgrund des aufkommenden Sturms». 20 Minuten später folgte der definitive Abbruch «wegen des starken Unwetters».
Und hier konnte man dem Online-Mob seinen Wutausbruch nicht mal übel nehmen. Denn der Wetterradar sah – nachdem die Gewitterwalze zügig vorbeigezogen war – für den ganzen Abend wieder relativ ruhig aus.
Der Teufel liegt im Detail
Doch Regen und Gewitter waren eben nicht der wirkliche Grund für den Abbruch – und so geisterten schon bald erste Verschwörungstheorien herum, dass Acts selber abgesagt hätten und dass das Festival nun diese Gelegenheit ausnutze.Das Problem war, dass nicht gut genug kommuniziert worden war, dass der Abbruch wegen des Windes und dessen Auswirkungen zustandegekommen war.
Wind ist für Festivals mit Gerüstbauten das grösste Risiko. Ab gewissen Windgeschwindigkeiten [und erst recht, wenn es bereits irgendwo zu Schäden gekommen ist] müssen alle Bauten und Bühnen auf dem Gelände erneut sorgfältig überprüft und danach wieder freigegeben werden.
Das wurde vor Ort denn auch über die Lautsprecher der Hauptbühne so kommuniziert. Doch dies bekamen augenscheinlich unzählige Gäste nicht mit, die sich anderswo auf dem Gelände oder in der Nähe davon befanden – und jene, die sich über Social Media informierten, erst recht nicht.
Geld zurück bei Headliner-Absage? Passiert selten
Eine gemeinsame Forderung im Sog der beiden Shitstorms lautete: Ich will mein Geld zurück. Was mittlerweile alle wissen dürften: Anspruch besteht nicht, Programmänderungen an Festivals sind in den jeweiligen AGB ausdrücklich vorbehalten. Alles andere ist Kulanz.Diese ist bei den klassischen Openairs, an denen das Publikum mehrere Tage zu Gast ist, grundsätzlich kein Thema, weil noch zig andere Acts auftreten. So ist denn auch das Florence-Beispiel nicht mit der Absage von Lewis Capaldi am Open Air St. Gallen 2023 vergleichbar – zumal es für seinen Auftrittstag nicht einmal Tagestickets gab.
Nicht ganz vergleichbar ist das Florence-Beispiel auch mit dem gleichentags abgesagten Metallica-Auftritt Ende Juni 2022 am Out In The Green in Frauenfeld. Da an diesem Eintages-Event schliesslich nur 5 statt 6 Bands [ohne ursprünglichen Headliner und ohne Ersatz] auftraten, erhielten die Gäste vor Ort 50 Franken auf die Hand. Die 11’000 [der 36’000] Ticketkäufer, die nicht mehr anreisen wollten, bekamen den ganzen Betrag zurückerstattet.
Und doch stand das Zürich Openair am Schluss eher blöd da – weil das Rock en Seine in Paris die Absage von Florence + The Machine ausserordentlich kulant behandelte: Besitzerinnen eines Tagestickets erhielten auf Wunsch das Eintrittsgeld zurück.
Wenn das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht
Kommt es zu einem wetterbedingten Festival-Abbruch, sieht die Lage komplizierter aus. Denn dieser kommt die Festivals per se schon teuer zu stehen: die Bandgagen müssen trotzdem bezahlt werden und die Einnahmen an den Gastro-Ständen gehen flöten.Ausfallversicherungen für Schlechtwetter und Konzertabbruch könnten zwar abgeschlossen werden, sind aber derart teuer, dass die meisten Festivals darauf verzichten. Unter anderem auch das Zürich Openair, wie die Mediensprecherin bestätigte.
Von daher war das Angebot des Zürich Openairs, mit dem Donnerstag-Ticket das Festival gratis am Freitag oder Samstag besuchen zu dürfen, ein okayes Angebot. Auch wenn das natürlich nur umsetzbar war, weil so oder so [und für diese beiden Tage wohl im Besonderen] genug Platz auf dem Festivalgelände vorhanden war.
Fazit: Wer [insbesondere mit längerer Anreise] extra für 1-2 Bands an ein Openair fährt, wird auch künftig stets das Risiko mit im Gepäck haben, am Schluss mit leeren Händen dazustehen – egal ob durch eine Headliner-Absage oder einen wetterbedingten Festival-Abbruch.Denn das finanzielle Gerüst der meisten Openairs ist nicht erst seit Pandemie, Inflation und Ukraine-Krieg so wacklig auf den Beinen, dass wenige Windböen reichen können, um es aus dem Gleichgewicht zu bringen.